Und er kam nach Nazareth, wo er aufgewachsen war, und ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge und stand auf und wollte lesen. Lukas 4,16
„Herzlich willkommen zum Gottesdienst heute Morgen. Heute ist eigentlich kein besonderer Gottesdienst. Aber seien Sie trotzdem herzlich gegrüßt!“ Mit diesen Sätzen begann der Gemeindeälteste den Gottesdienst.
Eine etwas holprige Eröffnung, dachte ich. Warum wertet der denn seine gute Sache so ab? Schade. Eigentlich hatte ich schon was erwartet. Der Redner interessierte mich. Deswegen war ich gekommen. Aber recht hatte er: Alles wirkte ziemlich gewöhnlich: Der Posaunenchor, die Gottesdienstbesucher, sogar die Predigt – alles nichts Besonderes. Das Haus schon gar nicht. Eine Grundrenovierung wäre längst dran gewesen.
Der Herr Jesus führte ein absolut ungewöhnliches Erdenleben. Wie viele Wunder werden da berichtet: Blinden schenkt er das Augenlicht wieder, mit fünf Brötchen macht er 5000 satt, sogar Tote macht er lebendig. Jeden Tag was Besonderes, so scheint es.
Aber die Bibel berichtet auch das Gewöhnliche: Jesus besuchte regelmäßig den Gottesdienst.
In Lukas 4,16 heißte es: Und er .. ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge. Das war Jesus so gewohnt. Von Kind auf. Familie Josef reiste alle Jahre nach Jerusalem zum Passafest. Dort besuchten sie den Tempelgottesdienst. Obwohl der heilige Ort mittlerweile wohl eher einem Viehbasar glich als ein Ort der Andacht zu sein.
Auch zu Hause in Nazareth war Jesus regelmäßig in der Synagoge zu finden. Auf seinen Reisen suchte er ebenfalls die jüdischen Gottesdienste auf.
Warum hat der Herr Jesus an dieser Gewohnheit festgehalten? Seinen Lehrern ist er schon als Zwölfjähriger überlegen gewesen. Was konnten ihm die Rabbiner da noch Neues vermitteln? Im Gottesdienst gab’s doch sicher kaum etwas, was ihn, den Sohn Gottes hätte aufbauen können. Oder doch? Seit 400 Jahren nichts Neues mehr. Kein Prophet war mehr aufgestanden, göttliche Offenbarungen waren selten geworden. Gott schwieg. Auch in den Gottesdiensten. Es gab nur das Althergebrachte, Tradition, Routine. Nein, nichts Besonderes. Wirklich nicht.
Trotzdem behält Jesus diese Gewohnheit bei. Er geht in den Gottesdienst. So wie der alte Simeon, die Witwe Hanna und viele andere Gläubige in Israel: Und er .. ging nach seiner Gewohnheit am Sabbat in die Synagoge.
Als Jesus die Synagoge in Nazareth betritt, kommt er aus der tiefen Krise der 40-tägigen Fastenzeit. Der unheimliche Versucher ist ihm dort leibhaftig begegnet. Jetzt hat Jesus Hunger. Hunger nach dem Wort Gottes. Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. Gottes Geist treibt ihn ins Bethaus. Jesus weiß: Zuspruch, Trost und Weisung gibt’s nur hier.
Gottesdienst ist nicht immer etwas Besonderes. Seinen Wert lernt man wohl erst richtig schätzen, wenn man ihn nicht mehr haben kann. Dieterich Bonhoeffer schrieb 1939: Es wird leicht vergessen, dass die Gemeinschaft christlicher Brüder ein Gnadengeschenk aus dem Reiche Gottes ist, das uns täglich genommen werden kann, dass es nur eine kurze Zeit sein mag, die uns noch von der tiefsten Einsamkeit trennt.*
Unsere alten und kranken Geschwister vermissen schmerzlich die Gemeinschaft und den Zuspruch aus Gottes Wort. Viele Christen können sich nur unter Gefahr zum Bibellesen und Beten treffen. Gottesdienst ist immer was Besonderes. Jedes Mal!
m.w.
* Bonhoeffer, Gemeinsam Leben, 23. Auflage, S. 17